HNPCC / Lynch-Syndrom
Hereditäres kolorektales Karzinom ohne Polyposis
Krankheitsbild und Symptomatik
Beim HNPCC (englisch „Hereditary Non-Polyposis Colorectal Cancer“, hereditäres kolorektales Karzinom ohne Polyposis, auch als „Lynch-Syndrom“ bezeichnet) handelt es sich um ein erbliches Tumorsyndrom, das durch ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entstehung verschiedener Krebserkrankungen gekennzeichnet ist. Typisch ist das Auftreten von Dickdarmkrebs (kolorektales Karzinom) in jungen Jahren. Das HNPCC verursacht etwa 3% aller kolorektalen Karzinome und stellt damit die häufigste Form der erblichen Dickdarm-Krebserkrankungen dar. Der Ausdruck „Non-Polyposis“ soll das Krankheitsbild von den verschiedenen Polyposis-Syndromen des Magendarmtrakts abgrenzen. Im Unterschied zu Polyposis-Patienten haben HNPCC-Patienten in der Regel nur einzelne Dickdarm-Polypen. Zum Tumorspektrum der Erkrankung gehören neben den kolorektalen Karzinomen auch Krebserkrankungen anderer Organe, insbesondere der Gebärmutterschleimhaut (Endometriumkarzinom), Eierstöcke, Dünndarm, Magen, ableitende Harnwege, Haut, Gallengang, Bauchspeicheldrüse und Gehirn.
Die wesentlichen klinischen Charakteristika eines HNPCC sind:
- junges Erkrankungsalter
- syn-/ metachrone Tumoren
- familiäre Häufung
- spezifisches Tumorspektrum
- häufig muzinöse / siegelringzellige Adenokarzinome mit entzündlicher Infiltration
Vererbung des HNPCC
Das HNPCC wird autosomal-dominant vererbt. Das heißt, Kinder von Betroffenen haben unabhängig vom Geschlecht ein Risiko von 50%, ebenfalls die veränderte Erbanlage (Mutation) und damit das hohe Tumorrisiko zu tragen. Nicht jeder Anlageträger erkrankt im Laufe seines Lebens an einem Karzinom. Das Erkrankungsrisiko für das Auftreten eines kolorektalen Karzinoms bis zum 80. Lebensjahr zum Beispiel beträgt ohne Vorsorgeuntersuchungen etwa 25-60%.
Molekulargenetische Grundlagen
Bisher wurden vier DNA-Reparaturgene (MLH1, MSH2, MSH6, PMS2) identifiziert, bei denen Keimbahn-Mutationen zur Entstehung von HNPCC führen. Weiterhin gibt es bei HNPCC-Patienten mit einem Verlust des MSH2-Proteins im Tumor auch Keimbahn-Deletionen des benachbarten EPCAM-Gens als ursächliche Mutationen. Alle Gene kodieren für DNA-Reparatur-Enzyme, deren Aufgabe es ist, bei der DNA-Replikation vor der Zellteilung entstandene falsche Basenpaarungen zu korrigieren.
Die fehlerhafte DNA-Reparatur in der Tumorzelle spiegelt sich in einer Verlängerung von repetitiven DNA-Sequenzen, den so genannten Mikrosatelliten, wieder. Bei HNPCC-Patienten lässt sich ein Unterschied der Mikrosatellitenmarker zwischen der Tumor-DNA und der DNA aus gesundem Gewebe nachweisen. Dies wird als Mikrosatelliteninstabilität (MSI) bezeichnet. Findet man im Tumorgewebe eines Patienten, der die klinischen Verdachtskriterien (Bethesda-Kriterien) erfüllt, eine MSI, so ist das Vorliegen eines HNPCC-Syndroms sehr wahrscheinlich.
Der Ausfall eines DNA-Reparaturgens in den Tumorzellen lässt sich immunhistochemisch durch den Expressionsverlust des entsprechenden Proteins nachweisen. Die molekulargenetische Diagnosesicherung erfolgt durch den Nachweis einer Keimbahn-Mutation in dem entsprechenden DNA-Reparatur-Gen.
Die genetische Untersuchung
Verdacht auf HNPCC besteht immer dann, wenn in einer Familie bestimmte klinische Kriterien (Amsterdam II- oder revidierte Bethesda-Kriterien) erfüllt sind. In diesem Fall wird normalerweise zunächst eine Tumorgewebsuntersuchung veranlasst. Zeigt diese HNPCC-typische Auffälligkeiten, wird im nächsten Schritt eine Untersuchung des entsprechenden DNA-Reparatur-Gens in die Wege geleitet.
Da in den einzelnen HNPCC-Familien unterschiedliche Mutationen auftreten, muss man in jeder Familie nach der speziellen ursächlichen Veränderung suchen. Kann die familiäre Mutation identifiziert werden, ist es auch möglich, gesunde Familienangehörige auf das Vorliegen der Mutation zu testen (prädiktive oder vorhersagende Testung).
Früherkennungs-Untersuchungen bei HNPCC
Aufgrund des gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhten Krebsrisikos werden HNPCC-Patienten und Risikopersonen in der Familie (d.h. alle erstgradig Verwandten von betroffenen Personen) engmaschige Krebsfrüherkennungs-Untersuchungen empfohlen. Diese umfassen derzeit die folgenden jährlichen Untersuchungen:
Ab dem Alter von 25 Jahren bzw. 5 Jahre vor dem frühesten Erkrankungsalter in der Familie:
- körperliche Untersuchung
- komplette Dickdarmspiegelung (hohe Koloskopie)
- für Frauen: Gynäkologische Untersuchung einschließlich vaginalem Ultraschall
und ab dem Alter von 35 Jahren zusätzlich:
- Magenspiegelung (Ösophago-Gastro-Duodenoskopie)
- für Frauen: Gynäkologische Untersuchung einschließlich vaginalem Ultraschall und Endometriumbiopsie mit der Pipelle-Methode.
Humangenetische Beratung
Zur Einordnung der Tumoren in einer Familie, ggf. Abklärung der Verdachtsdiagnose HNPCC, Erläuterung des Krankheitsbildes und der genetischen Grundlagen sowie zur Information über das persönliche Erkrankungsrisiko, die diagnostischen Möglichkeiten und die Früherkennungs-Untersuchungen empfehlen wir allen Betroffenen und Risikopersonen (Eltern, Geschwistern und Kindern einer erkrankten Person) die Vorstellung in einer humangenetischen Sprechstunde (Anmeldung unter 0228/287-51000).
Verbundprojekt „Familiärer Darmkrebs“ der Deutschen Krebshilfe
Seit 1999 fördert die Deutsche Krebshilfe das interdisziplinäre Verbundprojekt „Familiärer Darmkrebs“ an sechs Universitätskliniken (Bonn, Bochum, Dresden, Düsseldorf, Heidelberg und München/Regensburg). Ziel des Verbundprojektes, in dem Internisten, Humangenetiker, Chirurgen und Pathologen eng zusammenarbeiten, ist es, Standards für eine optimale Betreuung von Patienten mit erblichem Dickdarmkrebs und deren Familien zu erarbeiten, welche die klinische und molekulargenetische Diagnostik, die humangenetische Beratung sowie Früherkennung/ Vorsorge und Therapie einschließen.
- Schwerpunkt erbliche Tumorerkrankungen
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