Achalasie
Das Achalasie-Konsortium arc (achalasia risk consortium) hat die Aufklärung der genetischen und zellbiologischen Ursachen der Achalasie zum Ziel. Die molekulargenetischen Analysen von arc werden am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikum Bonn durchgeführt. Zur Webpage von arc gelangen sie unter www.achalasie-konsortium.de.
Das Konsortium stellt eine nationale Initiative dar, an denen unterschiedliche medizinische Einrichtungen beteiligt sind. Daneben sind auch Wissenschaftler aus Belgien, Italien, Polen, Schweden und Spanien an arc beteiligt. Die Identifikation der ersten Risikogene für die Achalasie wird neue Einblicke in die Pathophysiologie der Erkrankung ermöglichen.
Klinik und Genetik der Achalasie
Die Achalasie betrifft maßgeblich den unteren Schließmuskel der Speiseröhre (Ösophagus), der auch unterer Ösophagussphinkter (UÖS) genannt wird. Im Normalzustand ist er verschlossen und verhindert somit den Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre. Nur beim Schlucken kommt es zur Öffnung des UÖS, so dass die aufgenommene Nahrung in den Magen gelangen kann. Es handelt es sich um einen Muskelreflex, der mit der Muskeltätigkeit der Speiseröhre koordiniert abläuft. Bei der Achalasie ist die Erschlaffung des UÖS zunehmend eingeschränkt. Hierdurch kann der Speiseröhreninhalt nicht mehr in den Magen transportiert werden. Die Entleerung in den Magen findet erst statt, wenn der hydrostatische Druck der aufgestauten Nahrung den Verschlussdruck des UÖS übersteigt.
Das Leitsymptom der Achalasie ist die Schluckstörung, die sich langsam entwickelt und mit dem Fortgang der Erkrankung zunimmt. In der Regel bestehen die Schluckstörungen zunächst bei fester und später auch bei flüssiger Nahrung. Durch den zunehmenden Verschluss des UÖS beim Schlucken kommt es im weiteren Verlauf zum Wiederhochkommen von nicht-verdauter Nahrung und zu Schmerzen hinter dem Brustbein. Aufgrund des eingeschränkten Nahrungstransports und des Vermeidens der Nahrungsaufnahme kommt es zum Gewichtsverlust. Komplikationen können die Nahrungsbestandteile verursachen, die in der Speiseröhre verbleiben und nicht weitertransportiert werden. Durch den Übertritt in die Luftröhre verursachen sie wiederkehrende bronchiale Infektionen bis hin zu sog. Aspirationspneumonien. Die Schleimhaut der Speiseröhre kann sich auch entzünden, was als Retentionsösophagitis bezeichnet wird.
Die Ursachen der Achalasie
Die Muskeltätigkeit der Speiseröhre mit Erschlaffung des UÖS wird durch das sog. Enterische Nervensystem (ENS) gesteuert. Es handelt sich um ein komplexes Nervengeflecht, das den gesamten Verdauungstrakt umgibt und modulatorisch vom Zentralen Nervensystem über den zehnten Hirnnerven (Nervus vagus) beeinflusst wird. Die Nervenzellen des ENS, die die Muskeltätigkeit steuern, liegen im sog. Plexus myentericus, der sich zwischen der Ring- und Längsschicht der Muskulatur der Speiseröhre und des gesamten Verdauungstrakts befindet. Zwei Typen von Nervenzellen müssen dabei unterschieden werden: Hemmende Nervenzellen, die zu einer Muskelerschlaffung führen, und erregende Nervenzellen, die für die Muskelanspannung verantwortlich sind.
Wissenschaftliche Untersuchungen weisen einheitlich daraufhin, dass die hemmenden Nervenzellen bei der Achalasie zugrunde gehen. Davon scheinen selektiv die Nervenzellen des Plexus myentericus betroffen zu sein, die die Muskeltätigkeit des UÖS und der unteren Speiseröhre steuern. Es wird davon ausgegangen, dass autoimmunologische Vorgänge bei Personen mit genetischem Risikoprofil hierbei von Bedeutung sind. Dabei handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, das durch das gleichzeitige Vorliegen von Genveränderungen bzw. Risikovarianten in vielen unterschiedlichen Genen ausgelöst wird. Das Gewicht bzw. die Effektstärke jeder einzelnen Gen- bzw. Risikovariante wird sehr unterschiedlich sein. In unterschiedlicher und individueller Kombination sowie in Wechselwirkung werden sie zur Krankheitsdisposition beitragen. Neben den genetischen Faktoren werden auch Umweltfaktoren von Bedeutung sein. Es wird vermutet, dass virale Infektionen am Krankheitsprozess der Achalasie beteiligt sind.
Forschungskonzept
Das Ziel von arc liegt in der Aufklärung der zellbiologischen Ursachen der Achalasie. Die Aufklärung der krankheitsrelevanten Vorgänge könnte zur Entwicklung kausal wirkender Medikamente führen. Darüber hinaus könnten Biomarker entwickelt werden, die eine bessere Prävention für Risikopersonen und Prognose für Betroffene zulassen. Der entscheidende Schritt bei der Aufklärung der zellbiologischen Ursachen liegt in der Identifikation der genetischen Risikovarianten.
Die erfolgreiche Aufklärung von multifaktoriellen Krankheiten ist seit wenigen Jahren durch sog. genomweite Assoziationsanalysen (GWAS) möglich. Im Rahmen des Achalasie-Konsortiums planen wir die Durchführung dieser modernen molekulargenetischen Untersuchungsmethode. Sie wurde bislang bei der Erforschung der Ursachen der Achalasie noch nicht eingesetzt. Genetische Assoziationsanalysen werden an großen Kollektiven von betroffenen Personen und gesunden Kontrollpersonen durchgeführt. Es wird untersucht, ob ein bestimmtes Allel einer genetischen Variante häufiger bei Patienten als bei Kontrollen vorkommt. Liegen signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen vor, stellt das bei den Patienten überrepräsentierte Allel den genetischen Risikofaktor dar. Mittlerweile sind Assoziationsanalysen genomweit möglich. Bei diesen GWAS handelt es sich um die derzeit modernste Methode zur Aufklärung multifaktorieller Krankheiten. GWAS müssen aber an relativ großen Fall-Kontroll-Kollektiven durchgeführt werden, damit die krankheitsverursachenden Allele sicher identifiziert werden können.
In schon naher Zukunft wird das Next Generation Sequencing (NGS) das modernste molekulargenetische Verfahren für die Analyse multifaktorieller Krankheiten darstellen und die Komplettsequenzierung (Bestimmung der Abfolge bzw. der Sequenz der Basen) des gesamten Genoms von größeren Kollektiven erlauben. Sofern Risikovarianten multifaktoriellen Krankheiten zugrunde liegen, die sich mit GWAS nicht identifizieren lassen, können sie durch das NGS gefunden werden. Im Rahmen des Konsortiums möchten wir frühestmöglich NGS-Untersuchungen bei der Achalasie durchführen.
Mit der Identifikation der Risikogene endet unser Forschungsvorhaben jedoch nicht. Detektierte Risikogene sind die Voraussetzung, um die Achalasie-relevanten Pathways durch anschließende zellbiologische und bioinformatische Analysen zu identifizieren.
Beteiligte Mitarbeiter
Die molekulargenetischen Analysen von arc werden am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikum Bonn durchgeführt. Folgende Wissenschaftler sind daran beteiligt.
- Forschungsthemen
- Hereditäres Angioödem Typ III
- ACE-Hemmer/ Angiotensin-Rezeptor-Blocker induziertes Angioödem
- Brain Genomics
- Demenz
- Kraniofaziale Genomik
- Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
- Ösophagusatresie
- Fehlbildungen von Lunge, Gastrointestinal- & Urogenitaltrakt
- Achalasie
- Host Genetics
- Androgenetische Alopezie
- Kreisrunder Haarausfall
- Monogene Alopezien
- Genomic Imaging
- Genomik von Verhalten und psychischen Störungen
- Erblicher Darmkrebs
- Magenkarzinom
- Barett-Ösophagus
- Lese- und Rechtschreibstörung
- Mastzellerkrankungen
- Pharmakogenomik
- Psychomotorische Entwicklungsstörungen
Unsere Projektleiter
Unsere Mitarbeiter
Dr. rer. nat. Jessica Trautmann
E-Mail: jtrautmann@uni-bonn.de
Publikationen
Wouters MM, Lambrechts D, Becker J, Cleynen I, Tack J, Vigo AG, Ruiz de León A, Urcelay E, Pérez de la Serna J, Rohof W, Annese V, Latiano A, Palmieri O, Mattheisen M, Mueller M, Lang H, Fumagalli U, Laghi L, Zaninotto G, Cuomo R, Sarnelli G, Nöthen MM, Vermeire S, Knapp M, Gockel I, Schumacher J, Boeckxstaens GE.
Gut 2014 [Epub ahead of print]
Achalasia–a disease of unknown cause that is often diagnosed too late.
Gockel I, Müller M, Schumacher J.
Dtsch Arztebl Int 2012 109: 209-214
Etiopathological aspects of achalasia: lessons learned with Hirschsprung’s disease.
Gockel HR, Gockel I, Schimanski CC, Schier F, Schumacher J, Nöthen MM, Lang H, Müller M, Eckardt AJ, Eckardt VF.
Dis Esophagus. 2012 25:566-572
Achalasia: will genetic studies provide insights?
Gockel HR, Schumacher J, Gockel I, Lang H, Haaf T, Nöthen MM.
Hum Genet. 2010 128: 353-364