Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
Genetische Ursachen Orofazialer Spalten
Im Projekt „Genetische Ursachen Orofazialer Spalten“ werden die genetischen Ursachen von Lippenspalten, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und Gaumenspalten erforscht. Orofaziale Spalten gehören zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Dass an ihrer Entstehung genetische Faktoren beteiligt sind, ist seit Langem aus epidemiologischen Studien bekannt. Wie die genetischen Faktoren im Detail beschaffen sind und zusammenwirken, ist hingegen noch weitgehend ungeklärt.
Klinik und Genetik
Unter dem Begriff „orofaziale Spalte“ wird eine Vielzahl von Spaltformen zusammengefasst. Die häufigen Unterformen – auch „typische Gesichtsspalten“ genannt – werden, basierend auf epidemiologischen Daten und Erkenntnissen zur Embryonalentwicklung, in Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKGS) und Gaumenspalten (GS) eingeteilt. Bei der LKGS sind stets die Lippe und/oder der Alveolarfortsatz (Kiefer) betroffen, eine Spalte im Gaumen kann fakultativ vorliegen. Bei der GS ist der Gaumen gespalten, Lippe und Alveolarfortsatz hingegen sind intakt. Beide Spaltformen weisen eine große Variabilität hinsichtlich der betroffenen fazialen Strukturen, der Ausdehnung innerhalb dieser Strukturen und der Seitigkeit auf. So können die LKGS sowohl rechts-, links- als auch beidseitig auftreten. GS können den harten Gaumen, den weichen Gaumen oder beides betreffen.
Etwa 70% der LKGS und ca. 50% der GS treten isoliert, d.h. ohne weitere körperliche Anomalien auf, und werden als „nicht-syndromale“ Spalten bezeichnet. Formalgenetische und epidemiologische Studien haben gezeigt, dass nicht-syndromale LKGS und nicht-syndromale GS multifaktoriell bedingt sind – es wird entsprechend postuliert, dass mehrere genetische Risikofaktoren im Zusammenspiel miteinander und äußeren Risikofaktoren zur Entstehung der Spalte in der Embryonalphase führen. Bislang sind die ursächlich beteiligten genetischen Faktoren aber nur bruchstückhaft bekannt, und die bisherigen Erkenntnisse sind nicht für die Anwendung in der medizinisch-genetischen Routinediagnostik geeignet: Die Untersuchung eines einzelnen Betroffenen mit nicht-syndromaler LKGS auf die bislang dafür bekannten genetischen Risikofaktoren hat für den einzelnen Betroffenen und seine Angehörigen derzeit keine Aussagekraft. Weder könnte die Einschätzung „nicht-syndromal“ auf diese Weise gesichert werden, noch wäre eine derartige Untersuchung dazu geeignet, eine nicht-syndromale LKGS „vorherzusagen“. Dank intensiver Forschungsbemühungen sind aber in den letzten Jahren mehrere Regionen (genetische Loci) im humanen Genom identifiziert worden, in denen ursächliche Faktoren vermutet werden, und jetzt im Zuge weiterer Forschungsprojekte näher eingegrenzt werden sollen. Dies ist unter anderem Ziel unserer Forschungsarbeiten und unserer Studie.
LKGS und GS sind außerdem im Zuge einer Vielzahl seltener, übergeordneter Krankheitsbilder (Syndrome) beschrieben worden. Sowohl hinsichtlich ihrer Ursachen als auch ihres Erscheinungsbildes sind diese Syndrome sehr unterschiedlich. Ursächlich sind in aller Regel genetische Veränderungen, die meist eine hohe Penetranz haben, prinzipiell vererbbar sind und häufig einem monogen Erbgang folgen. Für viele dieser Syndrome wurde die genetische Ursache bereits idenitifziert. Dabei kann es sich um lichtmikroskopisch sichtbare numerische chromosomale Aberrationen (z.B. Trisomie 13), um strukturelle chromosomale Aberrationen (z.B. DiGeorge-Syndrom) oder um Punktmutationen einzelner autosomaler Gene (z.B. Van der Woude-Syndrom) oder X-chromosomaler Gene (z.B. Opitz-G/BBB-Syndrom) handeln.
Häufig wird die Frage nach der Wiederholungswahrscheinlichkeit für z.B. Geschwister, Kinder oder entferntere Verwandte von Betroffenen gestellt. Je nach ursächlicher genetischer Veränderung kann diese Wahrscheinlichkeit verhältnismäßig hoch bis äußerst gering sein. Um eine präzisere Aussage zu treffen, muss geklärt werden, ob die Spalte beim Betroffenen isoliert oder im Rahmen eines Syndroms aufgetreten ist. Diese Einschätzung, die sich an klinischen Befunden des Betroffenen sowie seiner Anamnese und Familiengeschichte orientiert, kann im Zuge einer humangenetischen Beratung erfolgen. Bestehen konkrete Hinweise auf ein bestimmtes übergeordnetes Syndrom, so kann dieser Verdachtsdiagnose unter Umständen mittels spezifischer genetischer Diagnostik an einer Blutprobe nachgegangen werden.
Forschungskonzept
Das übergeordnete Ziel unserer Forschungsarbeiten ist ein besseres Verständnis der Ätiologie nicht-syndromaler orofazialer Spalten.
Hierzu haben im Jahre 2004 damit begonnen, eine große Zahl von DNA-Proben von Betroffenen (Patienten mit nicht-syndromaler LKGS oder nicht-syndromaler GS), ihren Angehörigen und Kontrollpersonen zu sammeln. Unterstützt wurden wir dabei unter anderem von der Poliklinik für Kieferorthopädie sowie der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Bonn. Das Kollektiv wird laufend erweitert, wir freuen uns auch weiterhin über Teilnehmer an unserer Studie. Die DNA-Proben sind die Basis der im Folgenden kurz dargestellten molekulargenetischen Arbeiten.
Wir verfolgen verschiedene molekulargenetische Strategien zur Identifizierung von Genen/genetischen Loci, die ursächlich an der Pathogenese nicht-syndromaler LKGS und GS beteiligt sind. Im Fokus unserer Arbeiten liegt derzeit die nicht-syndromale LKGS, da wesentlich mehr unserer Studienteilnehmer eine LKGS haben.
Bislang wurden eine Kopplungsstudie, mehrere Sequenzierungsstudien und zahlreiche Assoziationsanalysen an Kandidaten-Genen sowie zwei genomweite Assoziationsanalysen vorgenommen. Wir führten außerdem die Daten unserer genomweiten Assoziationsstudie mit den Ergebnissen einer genomweiten Assoziationsstudie eines US-amerikanischen Konsortiums in einer Meta-Analyse zusammen, und untersuchten die Risiko-Gen-Orte für die nicht-syndromale Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hinsichtlich eines möglichen Einflusses auf faziale Maße in der Allgemeinbevölkerung. Unsere Arbeitsgruppe hat damit in den letzten Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der genetischen Ätiologie der nicht-syndromalen LKGS geleistet.
Zum kompletten Verständnis der Ätiologie der nicht-syndromalen LKGS und GS sowie der ihr unterliegenden molekularen Prozesse werden zunehmend interdisziplinäre Untersuchungen benötigt, in denen genetische, bioinformatische und funktionelle Expertisen zusammengeführt werden. Unsere Arbeitsgruppe hat dafür internationale Kollaborationen etabliert.
Ein besseres Verständnis der genetischen Ursachen wird präzisere Aussagen zu Wiederholungswahrscheinlichkeiten von Betroffenen und ihren Familien in der genetischen Beratung ermöglichen. Zukünftig könnte dann pränatal nach mittels Ultraschall gestellter Diagnose „orofaziale Spalte“ auch das Spektrum prognostisch relevanter genetischer Untersuchungen deutlich erweitert werden. Zudem stellt die Kenntnis der genetischen Ätiologie eine solide Basis für die zukünftige Entwicklung spezifischer präventiver Maßnahmen dar.
- Forschungsthemen
- Hereditäres Angioödem Typ III
- ACE-Hemmer/ Angiotensin-Rezeptor-Blocker induziertes Angioödem
- Brain Genomics
- Demenz
- Kraniofaziale Genomik
- Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
- Ösophagusatresie
- Fehlbildungen von Lunge, Gastrointestinal- & Urogenitaltrakt
- Achalasie
- Host Genetics
- Androgenetische Alopezie
- Kreisrunder Haarausfall
- Monogene Alopezien
- Genomic Imaging
- Genomik von Verhalten und psychischen Störungen
- Erblicher Darmkrebs
- Magenkarzinom
- Barett-Ösophagus
- Lese- und Rechtschreibstörung
- Mastzellerkrankungen
- Pharmakogenomik
- Psychomotorische Entwicklungsstörungen
Unsere Projektleiter
PD Dr. med. Elisabeth Mangold
E-Mail: e.mangold@uni-bonn.de
Unsere Mitarbeiter
Dr. rer. nat. Nina Ishorst
E-Mail: nina.ishorst@uni-bonn.de
Publikationen und Pressemitteilungen
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Pressemitteilungen
05.08.2012
Neue Genorte für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
21.10.2011
Helene-Matras-Preis für Dr. Elisabeth Mangold und Dr. Kerstin Ludwig
18.12.2009
Neue Genorte für Lippen-Kiefer-Gaumenspalte entdeckt
Genvariante auf Chromosom 8 verursacht Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
08.03.2009
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte: Gene wichtiger als gedacht?
Podcast: http://www.uni-bonn.tv/podcasts/Lippenkiefergaumenspalte.V1.mp3/view
08.03.2009